Analyse eines Essay „Arnold J. Toynbee: Kultur am Scheideweg - Wiederholt sich die Geschichte?“

Diese Analyse basiert auf dem vorliegenden Essay von Arnold J. Toynbee „Kultur am Scheideweg – Kapitel 3: Wiederholt sich die Geschichte?“.


Darin will der Autor seine Gedanken und Schlussfolgerungen vielleicht zur spannendsten und zu einer der meist diskutiertesten Frage, ob sich denn die Geschichte zwangsweise wiederholt, ausdrücken.


Man sieht schon am ersten Satz, den grundlegenden Ausgangspunkt jeden Essays: die Frage. Ohne Fragestellung liegt kein Essay vor, denn in einem solch kurzen (und auch kurzweiligen) Text soll genau eine solche diskutiert werden.



Diese Frage ist für ihn eigentlich in der akademischen Diskussion des 19. Jahrhunderts schon mehr oder weniger mit der Ansicht der damaligen Gelehrten
(„der Zauber des Wohlstandes, dessen sich unserer Kultur damals erfreute, hatte unsere Großväter mit der absonderlichen, pharisäischen Verblendung geschlagen, sie wären “nicht wie andere Menschen“)
beantwortet gewesen. Nach dem zweiten Weltkrieg jedoch für ihn aktueller denn je. Das heißt, er begründet auch die Wichtigkeit dieser Frage und somit auch die Legitimation und besonderen Wert seines Essays.


Tonbeey schreibt natürlich schulmäßig, indem er von Beginn an den roten Faden legt, um uns auch zuerst mal gleich seine Definition dieser Fragestellung mitzuteilen. Er lässt uns dann sofort seinen Standpunkt erkennen - mit dem frühen Satz „dort, wo leben ist, auch Hoffnung wohnt“ und jeder Herr seines Schicksals ist.


Ein Essay sollte einen wie auch immer künstlerischen Anspruch haben, einen bildhaften Stil pflegen, und dies wird mit herrlichen metaphorischen Sätze wie


„…wäre ja die Lehre der Geschichte nicht etwa dem Horoskop des Astrologen gleich; sie gliche vielmehr einer Seekarte, die dem Steuermann, der sie zu lesen versteht, weit mehr begründete Hoffnung bietet, einem Schiffbruch zu entgehen, als wenn er blind segelte; gibt sie ihm doch, wenn er Fähigkeit und Mut besitzt, sie zu gebrauchen, die Mittel in die Hand, seinen Kurs zwischen den eingezeichneten Klippen und Riffen zu steuern“


sehr schön dargestellt.


Interessant ist, dass der Autor immer wieder mit Beispielen zeigt, dass sich die Geschichte doch wiederholt (Stichwort Bürgerkrieg, Bundesstaaten), um dieses auch sogleich wieder zu entschärfen. Denn er meint, dass die Schöpfung sich weiterentwickelt, ja, dies genau das Ziel ist. Daraus folgert er, dass ein Wiederholungsprinzip zu Grunde liegen muss, denn das macht erst die Weiterentwicklung möglich.


Er wirft – den roten Faden folgend – nun die Frage auf, ob aber unsere Kultur dem Wiederholungsprinzip folgend untergehen muss. Er bringt den Vergleich mit einer Molluskenart – so was gelingt nie beim ersten Mal. Jedoch kann man durch Schaden klug werden und unserer Gesellschaft müsste sich „nur“ für oder gegen den Untergang entscheiden.


Das Ende seiner Ausführungen entspricht ganz dem eines klassischen Essays, nämlich mit dem Fazit, auch mit Lösungsvorschlägen bzw. wohin wir tendieren, respektive tendieren sollen. Hier spricht er sich klar für drei Punkte aus, nämlich für eine Weltregierung, für eine brauchbare Synthese von Freiwirtschaft und Sozialismus und schlussendlich Religion. Diesen vergibt er auch noch Prioritäten, wobei er das Argument, weshalb die Religion die wichtigste sein soll, klar schuldig bleibt.


Zwar ist ansonsten die Argumentationslinie klar gegeben, jedoch Kleinigkeiten sind meinem Verständnis nach nicht ganz so gut gelöst. Zum Beispiel beschreibt der Autor, dass Ereignisse (z.B. anhand der ind. Revolution oder auch der bundesstaatlichen Vereinigungen) nicht unbedingt gleichzeitig auftreten müssen. Wobei er erst am Schluss analysiert, dass absolut gesehen – durch die große Spanne der Menschheitsgeschichte – alle Ereignisse, die er untersucht zur gleichen Zeit stattgefunden haben bzw. stattfinden. Diese zwei Ansichten sollten in einem Gedanken ausgeführt werden.


Der Essay ist gespickt mit einprägsamen Formulierungen. Natürlich kann und soll der Essay subjektiv sein, welches auch klar an diesem Beispiel hervorgeht. Er stützt seine Argumention mit historischen Daten und Fakten*. Natürlich sind seine Ausführungen nicht erschöpfend, da ein Essay kurz und prägnant sein soll. Dies gelingt recht gut, zusätzlich ist der Text anregend und unterhaltend zu gleich.


Vielleicht anzumerken ist, dass der Autor über sich nicht in der ersten Person spricht, dies würde, so glaube ich, den Essay noch ein bisschen „interessanter“ machen, vielleicht jedoch entsprach dies den Konventionen damaliger Zeit.


Aber vielleicht muss sich die Geschichte doch wiederholen – um noch einen Schlussgedanken einzubauen – denn die Frage des freien Willens wird durch die Erfolge der Neurowissenschaft wieder einmal erneut heftig diskutiert.



*) interessant in diesem Zusammenhang ist, dass man hier schön sehen kann, dass sich die historischen Daten der Erde durch neue Untersuchungen beachtlich geändert haben (Tonbeey geht von der damaligen Annahme aus, die Erde sei maximal 2 Mrd. Jahre alt, heute sieht die Wissenschaft das Alter mit ungefähr 4,5 Mrd. Jahre an.)
Schmale - 30. Okt, 17:07

Schmale

In Ihrem Schlussgedanken werfen Sie natürlich ein "Reizwort" in die Debatte (Neurowissenschaft), wo man uns glauben machen möchte, dass wir ja eigentlich doch keinen freien Willen haben. Zum Glück sind nicht alle Neurowissenschaftler dieser Meinung. Die Kulturwissenschaften schon gar nicht.
Zur Schreibweise des Namens: Toynbee, nicht Tonbeey.

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